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Kleidungsstücke werden ins Bild geworfen, die Kamera filmt ihren kurzen Flug. Dann klickt der Auslöser, ein ausgesuchter Moment wird arretiert und gespeichert, während zwischenzeitlich das Kleidungsstück längst zu Boden gefallen ist. Immer neue Kleidungsstücke fliegen und erstarren, jede Filmsequenz endet in einem Freeze Frame, kulminiert sozusagen im "entscheidenden Augenblick", an dem die verformbaren Textilien in eine endgültige Form gegossen werden. Bewegte Körper durchkreuzen die ruhenden Bildräume, die zu Auffangvorrichtungen¹ für die Wurfgeschosse werden, bevor sie den Endpunkt ihrer Flugbahn erreichen.

Eine Stimme aus dem Off begleitet den Flug der Blusen und Röcke im ehemaligen Londoner Textilviertel und reflektiert den On the Process of Shaping an Idea into Form through Mental Modelling: das Verhältnis zwischen Fotografie und Film, den Augenblick im Unterschied zur Dauer sowie den Akt der Umsetzung zwischen Kalkül und "unknown knowns" (Slavoj Žižek). Denn so konturiert die textilen Skulpturen in den Fotografien sind, so viele Faktoren wie Beschleunigung, Luftwiderstand, Schwerkraft etc. beeinflussten ihre Gestalt. In diesem Prozess sieht Sissa Micheli eine Parallele zur Materialisierung von künstlerischen Ideen: "I have a mental model but I do not know what the final picture will look like", heißt es aus dem Off.

Mit dem Spiel an der Grenze zwischen Foto grafie und Film wird unweigerlich ein Konkurrenzverhältnis der beiden Medien angedeutet, der Gedanke, dass jeder Fotografie letztlich ein "Film" vorausgeht, liegt nahe und ähnlich wie in James Williamsons 1901 veröffentlichtem Kurzfilm "The Big Swallow" wird unbeschwert ein Medium gegen das andere ausgespielt.

— Ruth Horak

[1] Gilles Deleuze, Das Bewegungs-Bild, Kino 1, Frankfurt am Main, 1997. S. 28
[2] Slavoj Zizek