ON CLOUDS AND METEORITES
2015
Diasec, variable size
"Applied to the urban environment, unlikely insertions or juxtapositions of uses can unsettle our existing perceptions of urban life and space, opening up new possibilities and invigorating the idea of what a city can be." (Margaret Crawford, zitiert in: Christioph Laimer, Das urbane Leben hat noch gar nicht begonnen, dérive, Zeitung für Stadtforschung, 53/ 2013, S.4.)
"UTOPIA IN TRANSIT — ON CLOUDS AND METEORITES", eine Arbeit, die während Sissa Michelis Residency in London entstand, steht an der Schnittstelle von Gegenwart und Utopie. Inspiriert durch die urban- industrielle Landschaft des Queen Elizabeth Olympic Parks und die starke Hinwendung der Londoner zu Zukunftsmodellen hat die Künstlerin eine Erweiterung ihrer Arbeit mit rotierenden Bergen aus Rettungsfolien entwickelt. Das ursprünglich von der NASA verwendete Material wurde von der Künstlerin zu amorphen Formen zwischen Wolke und Meteorit verarbeitet und vor dem Hintergrund des Parks schwebend fotografiert. An der Grenze von Erde und Weltall stehen sie symbolisch zwischen dem, was bereits existiert, und den daraus entstehenden Möglichkeiten für die Zukunft. Das temporäre, skulpturale Element in der Fotografie erscheint durch die ins Bild geworfenen Rettungsdecken: Es ist ein bestimmter Moment, den die Künstlerin aus der Bewegung des Objekts gegriffen und auf Fotopapier gebannt hat, ein Zeitpunkt in der rasanten Entwicklung einer Skulptur – der einzige, der dokumentiert ist und nachvollziehbar wird. "Wesentliche Informationen sind erst mit der Zeit als Spur oder Abdruck zu lesen." (Sissa Micheli)
Dieses räumliche und zeitliche Element in den Arbeiten wird durch die grafische Verschiebung der fertigen Fotos weitergeführt. Der Sprung im Bild weist auf mögliche neue Dimensionen hin, die jenseits unserer Vorstellung von Raum und Zeit liegen. Diese Konnotation versucht die Künstlerin auch durch die Wahl des für die Verschiebung verwendeten Umrisses zu zeigen: Das Amplituhedron, ein mehrdimensionales geometrisches Objekt, wird in der Quantenfeldtheorie zur Berechnung der Wechselwirkung zwischen Elementarteilchen angewandt. Seine Verwendung setzt allerdings voraus, dass man auf zwei wesentliche Grundlagen der Physik – Lokalität und Unitarität – verzichtet. Eine völlig neue Sichtweise und ein anderes Verständnis unserer Wahrnehmung sind die Folge. Der Bruch im Bild ist also einerseits eine Störung des Bildraums, in dem sich die Entwicklung der geworfenen Skulptur darstellt, bietet aber andererseits in Anlehnung an das Amplituhedron- Konzept auch Platz für neue Perspektiven, neue Parameter der Wirklichkeit. Der durch die Verschiebung frei zu Tage tretende Papiergrund verweist auf eine dem Medium Fotografie innenwohnende Zerrissenheit: Durch die perfekte Anpassung an unsere Sehgewohnheiten – und umgekehrt – lässt sich Fotografiertes leicht fälschlicherweise mit Realem gleichsetzen. Das nackte Papier, das sich unter den Druckschichten zeigt, enttarnt diesen Trugschluss und weist den Betrachter auf das eigentliche Wesen der Fotografie hin: Sie ist Farbe auf Papier. Ein Konstrukt. – Nina Binder (Parnass)